Wir sind alle Antifa!
Auch in diesem Jahr wollen Faschist*innen in Remagen ihr revisionistisches Heldengedenken abhalten.
An diesem wie an anderen Tagen wollen wir es den Nazis so unmöglich machen, auch nur einen Fuß nach Remagen zu setzen. Mit dem konstruierten Opfermythos um das alliierte Rheinwiesenlager und eine angebliche systematische Aushungerung deutscher Soldaten heißt für uns neben dem Versuch, die Demonstration der Faschist*innen zu durchkreuzen, auch eigene Akzente und Themen auf die Straßen Remagens zu tragen. Wir sind überzeugt, dass antifaschistischer Kampf in Zeiten der rechten Diskursverschiebung, faschistischer Gewalttaten und Morde neben der Konfrontation mit dem politischen Gegner eigene Inhalte hervorbringen und an die Öffentlichkeit tragen muss.
In diesem Jahr lautet daher die Parole: Wir sind alle Antifa!
Antifa heißt Kampf um die Geschichte:
Antifaschismus in der postnazistischen Gesellschaft heißt immer, aus einem historischen Standpunkt heraus zu argumentieren.
Im Land der industriellen Vernichtung von Millionen Jüd*innen, Sinti & Roma, queeren Menschen, Gewerkschaftler*innen und Sozialist*innen ist die ständige Erinnerung an diese Zeit die Grundlage jedes Antifaschismus. Dazu zählt die Entlarvung deutscher Täter*innen, die aktive Sabotage an dem Bild eines besseren, neuen Deutschlands. Denn mit der BRD besteht bis heute der unmittelbare Nachfolgestaat des nationalsozialistischen Apparates weiter fort. Die personellen Überschneidungen von NS-Täter*innen in deutschen Staats- und Wirtschaftssitzen in den höchsten Rängen bis in die 80er Jahre hinein beweist diesen fehlenden Bruch mit den Schrecken des Faschismus. Vielmehr lautete die Parole: Irgendwann muss auch mal Schluss sein! Doch einen Schlussstrich ziehen heißt, Geschehenes ruhen zu lassen und ungesühnt in eine staubige Schublade der Geschichte zu verstauen, um es möglichst nie wieder hervorholen zu müssen. Dabei gehen die Verdrängung antifaschistischer Erinnerungspolitik und die Ausschlachtung des größten Menschheitsverbrechens in Deutschland Hand in Hand. Denn neben der unbequemen Art der Auseinandersetzung mit der eigens fabrizierten Barbarei steht die Profilierung Deutschlands über seine Erinnerungspolitik, vor allem an die Shoah. Schließlich hat sich Deutschland „Ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt“. Mehr historische Schuldaufladung würde schließlich die Abschaffung einer Nation, namentlich der Deutschen, bedeuten. Aus dieser historischen Schuldposition leitet dieses neue Deutschland nun seine moralische Überlegenheit ab und fühlt sich in verschiedensten geopolitischen Krisen und historischen Verbrechen anderer Nationen zu höherem berufen. Denn wer den Zivilisationsbruch schlecht hin überwunden habe und nur 70 Jahre später wieder an der Spitze der globalen Ausbeuter*innen stünde, der hätte moralisch quasi das Recht zu allem.
Bei allem Zynismus wird deutlich, wie wichtig radikale und konsequente Erinnerungsarbeit von links ist. Staatliche Ansätze brechen zugunsten einer ehrlichen historischen Aufklärung niemals mit dem Status quo. Die Besetzung dieses Diskurses ist unsere Pflicht! Neben der Verdrehung deutscher Schuld, wie auch jedes Jahr in Remagen zu beobachten, ist die vollständige Abwehr dieser Tatsache im Zuge des Rechtsruckes in den letzten Jahren eine neue Gefahr, der wir uns stellen müssen. Die neue Rechte um Think-Tanks wie Götz Kubitschek hat mit der AfD und vielen anderen Organisationen das Sagbare in Fragen deutscher Geschichte massiv nach rechts außen verschoben. Dabei schlagen davor eher gemäßigte konservative Fähnchen im Wind wieder voll in die Kerbe, die sich mit dem Zitat von AfD-Bundestagsfraktionsvorsitzenden Gauland auf den Punkt bringen lassen: „Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte.“. Als wäre die Nation, die aus 3 blutigen Einigungskriegen mit ihren europäischen Nachbarn von oben herab geschmiedet wurde und den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts zu verantworten hat, nicht auch ohne den Blick auf die 12 Jahre eine einzig zu beseitigende Kultur der Barbarei. Was die neue Rechte salonfähig gemacht hat, praktizieren die Gesinnungsgenoss*innen der offen faschistisch auftretenden Nazis, die seit 2009 ihr Unwesen in Remagen treiben, schon länger. Die Verdrehung deutscher Schuld zwischen 1933 bis 1945 gehört seit Kriegsende zu der Opferposition, aus der die (neo)nazistische Bewegung seither versucht, politisch Fuß zu fassen. Gesellschaftlich anschließen konnten sie damit längst, auch wenn sich viele nie zu einem offenen Bekenntnis zu Leuten dieser Manier haben hinreißen lassen. Doch nach innen stärkt die jährliche Kaderveranstaltung um den sogenannten „Volkstrauertag“ die eigenen Reihen. Denn die kollektive Einigung auf eine eigene Wahrheit, entgegen eines allgemein zumindest teilweise gültigen Konsens Deutscher Schuld am 2.Weltkrieg, schafft Abgrenzung nach außen und bildet die grundlegende moralische Legitimation des eigenen Handelns. So gering der gesellschaftliche Einfluss eines neofaschistischen Aufmarsches wie in Remagen auch sein mag, so wichtig bleibt der Widerstand dagegen. Nicht zuletzt, weil unsere historische Verantwortung auch die Mahnung „Wehret den Anfängen“ impliziert.
Antifa heißt Diversität des Widerstandes:
Um rechten, faschistischen und totalitären Tendenzen jeder Art nachhaltig begegnen zu können, glauben wir an das Prinzip der Diversität in unserem Widerstand. Neben der Erinnerungsarbeit müssen wir als Antifaschist*innen alle vorhandenen Ressourcen ausschöpfen, um Menschenfeinden das Handwerk zu legen. Primär muss unser Anspruch bestehen, Gesellschaft, die rechte Tendenzen hervorbringt, zu beeinflussen und sie grundlegend zu verändern. Mit Aufklärungsarbeit, Erinnerungspolitik, Gesprächen im Betrieb, in der Schule, in der Uni, auf dem Sportplatz und auch in der Kneipe schaffen wir in unserem Umfeld eine Hegemonie, die in gesamtgesellschaftlichem Maßstab einen Teilaspekt bildet, wenn es darum geht, faschistischen Tendenzen den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Um diese Arbeit besser leisten zu können, glauben wir auch, das organisierte Arbeit in politischen Strukturen essenziell ist. Die organisierte Zusammenarbeit mit anderen Menschen verschafft uns größere Handlungsspielräume und erweitert die Reichweite unseres Einflusses enorm.
Die Entfaltung sozialer Kämpfe spielt in der Abwehr aufkeimender neofaschistischer Tendenzen, zum Beispiel in Form rechter Krisenlösungen, gerade während der Coronapandemie, eine zentrale Rolle. Denn nicht zuletzt die Rechte versucht, gesellschaftliche Krisenstimmungen für sich zu nutzen. Die historische Analyse zeigt, dass gesellschaftliche Krisen faschistischen Bewegungen als Sprungbrett dienen. Die Inszenierung als Retter*innen und die klare Fixierung eines Feindbildes in gesellschaftlichen Gruppen nach rassistischen und/oder antisemitischen Maßstäben schafft in Zeiten existenzieller Ängste vermeintlich klare Blicke und fixiert eine Ursache der eigenen Misere, gerade wenn die realen Verhältnisse zu undurchsichtig scheinen. Die Aufgabe der antifaschistischen Bewegung muss es sein, diese „Krisenlösungen“ zu entlarven und reale Verhältnisse aufzudecken, um auf dieser Basis dagegen agieren zu können. Denn es besser zu wissen nützt nichts, wenn klar ist, das krisenbedingende Zustände, namentlich die kapitalistische Produktionsweise und ihre Gesellschaftsordnung, weiter für materielle Miseren sorgen. Die radikale Gesellschafts- und Faschismusanalyse wirft schnell den Kapitalismus als Nährboden des Übels auf. Wer sich jeden Tag von gesellschaftlicher Partizipation und Wohlstand abgehängt fühlt, ist anfällig für identitätsstiftende Gruppenbildung. Die Entfremdungslogik, die jede*r von uns täglich erfährt, ist eine der Vorraussetzungen, die im Zusammenspiel mit regressiven Ideologien und Konstrukten wie Volk, Nation, Rasse und nicht zuletzt dem Patriarchat die Grundlage der Entfaltung von totalitärer Herrschaft bedingen.
Der Widerstand gegen Faschist*innen heißt daher die Entfaltung sozialer Kämpfe entgegen der Herrschaft des Kapitals!
Corona zeigt uns, dass der Kapitalismus tagtäglich Krise für Millionen von Menschen bedeutet, die sich während einer Pandemie weiter verschärft und so auch für Jede*n sichtbar wird. Wir solidarisieren uns daher mit jeglichen Streiks von Pflegekräften, Menschen in der Logistik und allen anderen Lohnabhängigen in (gesellschaftlich relevanten Arbeitsverhältnissen). Egal in welchem Bereich: Der Konflikt mit der herrschenden Klasse ist gerechtfertigt.
Doch während der Existenz konkret organisierter rechter und faschistischer Bedrohungslagen heißt Antifaschismus auch, direkten Widerstand zu leisten: Rechte Aufmärsche, Versammlungen und Meinungskundgaben sind mit entsprechenden Mitteln zu verhindern. Nazis dürfen im öffentlichen Raum keine Rolle spielen und müssen bei Erscheinen mit Gegenwind rechnen. Unser Ziel muss dabei immer die Delegitimation des politischen Gegners sein. Rechte und neonazistische Verbindungen und Organisationen, egal ob in Parteien, staatlichen oder außerstaatlichen Strukturen sind aufzudecken und zu zerschlagen. Akteur*innen dieser Art dürfen nicht zur Ruhe kommen. Zu den zahlreichen Wegen, Nazis ihren politischen Handlungsspielraum zu nehmen, gehört auch Militanz. Antifaschistische Strukturen, die Nazis physisch begegnen sind ebenso Teil unseres gemeinsamen politischen Kampfes wie Recherchegruppen oder offene antifaschistische Treffen.
Antifa heißt Solidarität gegen ihre Repression!
Der Versuch der Spaltung und Kriminalisierung linker und insbesondere antifaschistischer Politik durch Repression wird in jüngster Zeit am Beispiel Lina E. deutlich. Unserer Genossin Lina wird konsequenter und direkter Widerstand gegen organisierte Neofaschisten vorgeworfen. Der Staatsanwaltschaft reicht dabei eine dünne Beweislage im Zuge einer Hausdurchsuchung (Hammer, Perücke, Bargeld und die Messengerapp Signal) für die Inhaftierung in Untersuchungshaft. Zuvor wurde Lina, wie zuletzt nur die Rechtsterroristin Beate Zschäpe (sie muss sich für mindestens 9 Tote im Zuge der NSU-Morde verantworten; die Dunkelziffer der Getöteten dürfte weit höher sein), mit dem Hubschrauber zum Haftrichter nach Karlsruhe geflogen. Im April 2021 wird sie dann in der JVA Chemnitz, dem Gefängnis, in dem Beate Zschäpe ihre Haftsrafe verbüßt, inhaftiert.
Der Prozess zeigt, dass der Staat gegenüber antifaschistischem Widerstand gegen Menschenfeinde von rechts mit aller Härte vorgeht. Eine Härte, die bezüglich einer rechten Bedrohungslage durch bewaffnete terroristische Netzwerke und Zellen innerhalb wie außerhalb staatlicher Strukturen, ausbleibt. Gemeinsam mit Lina sitzen im Augenblick Genoss*innen wie Ella, Dy, Findus und so viele andere in deutschen Gefängnissen. Für uns ist klar: Wir lassen uns nicht spalten; Solidarität ist der Hammer gegen ihre Repression!
Die autoritäre Formierung des Staates, die sich in ganz natürlicher Abwehr einer emanzipatorischen Bewegung, die eine solche Zuspitzung der Herrschaftsverhältnisse ablehnt und diese anprangert, entgegenstellt, wird auch am Beispiel des neuen Versammlungsgesetzes, was in NRW bald rechtskräftig werden soll, deutlich. Dabei lässt die nordrhein-westfälische Landesregierung mit ihrem Gesetzesentwurf die Notstandsgesetze von 1968/69 alt aussehen.
Eine Auswahl:
- verschärfte Videoüberwachung von Versammlungen
- strafbewährtes Vermummungsverbot
- Verbot des Mitführens von Gegenständen, die der „Id</blockquote>entitätsverschleierung“ dienen könnten
- Militanzverbot: Versammlungen, die unter freiem Himmel einschüchternd wirken oder militant auftreten, können verboten werden. Darunter fällt auch das Verbot der einheitlichen Bekleidung
- Demonstrationen können nicht mehr mündlich oder telefonisch angekündigt werden, sondern nur noch schriftlich – außerdem auch nicht mehr am Wochenende
- Die Anzahl der Ordner*innen sowie ihre Namen sollen der Polizei im Voraus mitgeteilt werden
- Störungsverbot: Darunter fällt nicht nur die Störung durch Musik oder Rufen, sondern genauso die „gezielte Anmeldung einer Gegenveranstaltung für dieselbe Zeit und denselben Ort“, sowie die „Förderung“ einer solchen Störung
Die geplanten Maßnahmen können einen nur zutiefst schockiert und beunruhiget zurücklassen. Denn mit der Vorlage dieses geplanten Gesetzes gibt sich die herrschende Klasse nicht den Hauch einer Mühe, offen linke Bewegungen JEDER Art kriminalisieren und schlussendlich beenden zu wollen. Die Repression, die auf Menschen, die die Einnahme des öffentlichen Raumes durch Faschist*innen über den Weg der legitimierten bürgerlichen Ordnung mit einer Anmeldung zur Blockade eines Ortes gehen wollen, können dabei bald ebenso von Repression getroffen werden wie Menschen, die von Polizei und Nazis im Anschluss einer Versammlung nicht verfolgt werden wollen und ihr Recht der anonymen Meinungskundgabe wahrnehmen. Das Gesetz trifft linke und antifaschistische Bewegungen gezielt und stärkt damit faktisch rechte Tendenzen und konkrete Organisationen in dieser Gesellschaft. Ein konsequenter und radikaler Antifaschismus kann daher nur in Antagonie zu den bestehenden Herrschaftsverhältnissen und konkret ausgedrückt zu dem bürgerlichen Staat und seinem Gewaltmonopol stehen.
Ein Fazit:
Was ist unser Fazit aus dieser Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Handlungsrealität, in der wir uns bewegen?
Die Devise muss heißen: Dran bleiben!
Wenn Nazis am * Datum einsetzen * wieder durch die Straßen von Remagen ziehen wollen, gilt es alles daran zu setzen, das zu verhindern! Wer an diesem Tag beim „Trauermarsch“ mitläuft, gehört zu der ärgsten Ausprägung des Faschismus, die uns aktuell begegnet. Sich dieser Gefahr in den Weg zu stellen, steht in der Priorisierung unserer Arbeit ganz oben. Doch um handlungsfähig zu bleiben und eine grundsätzliche Veränderung gesellschaftlicher und ökonomischer Verhältnisse hervorzurufen, müssen wir an mehreren Stellschrauben drehen, schlussendlich die ganze Maschine aus den Angeln heben. Soziale Revolte beginnt in der Bildung und Verständigung mit unseren Mitmenschen. Linke Stadtteilzentren, gewerkschaftliche Organisation auf der Arbeit und der Mut zum Konflikt mit Obrigkeiten gehören genauso zu antifaschistischer Arbeit wie die Enttarnung und Konfrontation des politischen Gegners. Das wir uns dabei nicht auf den Staat verlassen können, er sogar Teil des Problems ist, muss dabei immer in unserem Handeln mitgedacht werden. Solidarität ist dabei unsere wichtigste Waffe: Am 18.09. trugen circa 5000 Antifaschist*innen in einem breiten Bündnis ihre Entschlossenheit, den Mut und ebenso ihre Wut über die Kriminalisierung legitimer Politik, dem Antifaschismus, auf die Straßen von Leipzig. Die kraftvolle Demonstration ist einer von vielen Ausgangspunkten unseres Widerspruches mit den bestehenden Verhältnissen.
Antifaschismus heißt über die genannten Aspekte hinaus auch die Überwindung regressiver Ideologien und Konstrukte, die Menschen unterdrücken, tagtäglich gewaltsam einengen und sie schlussendlich fertig machen. Volk, Nation, Rasse, Patriarchat, Kapital und Staat sind unterdrückende Herrschaftsverhältnisse, die in ihren Wirkungsmechanismen miteinander verknüpft sind und sich wechselseitig stützen. Antifaschistische Kämpfe im Jahr 2021 sind vielfältig und solidarisch gegenüber Angriffen, egal an welcher Stelle der Bewegung.
Lasst uns deshalb am 13. November 2021 eine starke Demonstration auf die Straßen Remagens tragen: Wir sind alle Antifa!