Kurzbericht Remagen 2020

+++ mehr als 650 Antifaschist*innen setzen unter Einhaltung strenger Hygienemaßnahmen mit Blockaden, Demonstration und Kundgebungen klares Zeichen gegen Naziaufmarsch und deutschen Opfermythos +++ Nazis können nur abgeschirmt über Umwege laufen +++ Zahl der Nazis sinkt nochmal deutlich auf ca. 90 +++

Demonstration & Aktionen

Foto: NS-Verherrlichung stoppen!

Am heutigen 14. November 2020 versammelten sich um halb elf knapp 650 Menschen vor dem Remagener Bahnhof zur antifaschistischen Demonstration „Rechte Netzwerke aufbrechen! In Polizei, Justiz und Überall!“, um gegen den größten regelmäßigen Naziaufmarsch Deutschlands zu protestieren. Gleichzeitig wendete sich die Demonstration gegen den geschichtsrevisionistischen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und die aktuell immer deutlicher werdende Verstrickung von Sicherheitsbehörden und Rechten Strukturen. Dass trotz Pandemie so viele Antifaschist*innen nach Remagen gekommen sind und konsequent mit Mund-Nase-Bedeckungen und unter Einhaltung von Mindestabständen demonstriert haben, zeigt, dass Protest auch unter Pandemiebedingungen verantwortungsvoll durchführbar ist. Während der Auftaktkundgebung zeigte das veranstaltende Bündnis „NS-Verherrlichung stoppen!“ in einem Redebeitrag auf, wie Sicherheitsbehörden kontinuierlich nicht bereit oder in der Lage sind, rechte Verbrechen aufzuklären und begründete dies mit der Tatsache, dass es Nazis in Deutschland laut der ermittelnden Behörden entweder nicht geben dürfe, oder die involvierten Beamt*innen selber Neonazis sind. In einem weiteren Redebeitrag schilderte die Gruppe „Diskursiv Aachen“ viele Fälle rassistischer Polizeiarbeit und erklärte deren systematische Grundlage.

Direkt zum Start der Demonstration, drohte die Polizei der Versammlung mit ihrer Auflösung, da sie der Meinung war, dass die Infektionsschutzmaßnahmen nicht ausreichend eingehalten worden wären. In Anbetracht von riesigen Demonstrationen von Corona-Leugner*innen ohne jegliche Masken oder Abstände, welche aktuell jede Woche zu Hauf stattfinden und von der Polizei mindestens geduldet werden, ist dies lediglich als politisch motivierte Farce zu bewerten. Da die Aktivist*innen, insbesondere auch zu ihrem eigenen Schutz, allerdings weiter dauerhaft auf die Einhaltung der selbstgewählten Maßnahmen achteten, lief auch diese Strategie der Polizei ins Leere.

Im Verlauf löste sich eine Gruppe aus der Demonstration, um auf die Route der Neonazis zu gelangen. Diese konnte sich zwar sehr schnell als Blockade auf der Route formieren, wurde aber direkt an den Rand gedrängt und konnte so leider nicht verhindern, dass die Nazis weiter auf ihrer geplanten Route marschieren konnten. Währenddessen zog die Demonstration weiter in Richtung jüdischem Friedhof, wo seit 2015 eine Dauermahnwache dafür sorgt, dass dieser nicht als Bühne für antisemitisches Gedankengut herhalten muss. Die Mahnwache begrüßte die antifaschistische Demonstration und hielt ein kurzes Grußwort.

Parallel dazu platzierte sich eine weitere Blockade auf der Naziroute, bei welcher sich mehrere Aktivist*innen in einem Lock-On festketteten. Die Polizei folgte auch hier wieder ihrer Linie des Tages, schnitt die Personen los und nahm sie in Gewahrsam. Die Demonstration lief unterdessen weiter in Richtung FH, wo sich mit einer Kundgebung des Remagener Bündnis für Frieden und Demokratie zusammengeschlossen wurde. Hier wurde mit verschiedenen Musik- und Redebeiträgen ein inhaltliches Kontrastprogramm zum Naziaufmarsch realisiert. Die Kundgebung an der FH kam dieses Jahr noch näher an den gewünschten Zielort der Nazis, das sogenannte „Feld des Jammerns“, heran und drängte die Nazis so noch weiter vom angestrebten Platz  für ihr „Heldengedenken“ weg.

Als die Nazis schließlich ihre Ehrung von SS und anderen Kriegsverbrechern neben der FH abhielten, wurden sie dabei massiv durch lautstarke antifaschistische Zwischenrufe gestört. Als die Nazis sich anschließend zum Rückzug aufstellten, schilderte die „Autonome Antifa 170“ aus Dortmund in einem weiteren Redebeitrag den Stand ihrer Naziszene, welche federführend in die Organisation des Aufmarsches in Remagen involviert ist, und widersprach deutlich dem Mythos der Nazihochburg Dortmunds. Gleichzeitig wurde aber auf die weitere Notwendigkeit antifaschistischer Kämpfe in der Ruhrmetropole hingewiesen.

Anschließend zog auch die antifaschistische Demo zurück zum Bahnhof und wandte sich durch Parolen und Redebeiträge direkt an die Remagener Bevölkerung, in welchen sie aufgefordert wurde, weiter gegen den jährlichen Naziaufmarsch aktiv zu werden. Die Reaktionen vieler Anwohner*innen waren auch dieses Jahr unglaublich positiv und drückten eine breite Zustimmung zur Notwendigkeit unserer Arbeit aus. Dass die Polizei dem antifaschistischen Anliegen der Demonstration allerdings weiter klar ablehnend gegenübersteht, verdeutlichte sie insbesondere durch unzählige unnötige Personenkontrollen und Ingewahrsamnahmen. Insbesondere drangsalierte die Polizei etliche Antifaschist*innen bei der Abreise und versuchte verzweifelt, mutmaßlich vorsätzlich vorgetäuschte, Indizien für ihre haltlosen Maßnahmen zu finden. All die Erfahrungen des Tages verdeutlichen allerdings, dass die Proteste in Remagen nicht nur notwendig, sondern auch weiterhin sinnvoll und wirksam sind.

Die Nazis

Foto: dap_dortmund

Nach den zwei Hochjahren 2016 und 2017 mit je 200 bzw. 240 Teilnehmenden, ging die Zahl in den letzten zwei Jahren wieder deutlich abwärts. Der Abwärtstrend, welcher letztes Jahr zu „nur noch“ 130 teilnehmenden Nazis führte, setzte sich dieses Jahr weiter fort. So fanden nur noch 90 Neonazis ihren Weg nach Remagen. Auch die Mobilisierung oder Aktionen im Vorfeld des „Trauermarsches“, welche lange Zeit zum Standardrepertoire der selbstbenannten „Kampagne“ der Neonazis gehörten, waren im letzten Jahr auf ein Minimum geschrumpft. Dieses Jahr blieb die gesamte öffentliche Mobilisierung allerdings aus. Dies, und die mangelnde Beteiligung, lässt immer mehr den Eindruck erwecken, dass selbst die Faschist*innen keinen Bock mehr auf diese Scheiße haben. Dennoch waren auch dieses Jahr wieder etliche rechtsterroristische Strukturen beim Aufmarsch dabei, was zeigt, wie vernetzt die lokalen Neonazis weiterhin sind. Das Problem ist also weiterhin nicht die Anzahl, sondern welche Neonazis in Remagen aufmarschieren – nämlich das „who is who“ der rechtsterroristischen Szene in Deutschland.

Fazit

Foto: NS-Verherrlichung stoppen!

Die diesjährigen Proteste gegen Deutschlands größten jährlichen Naziaufmarsch sind aus antifaschistischer Sicht als voller Erfolg zu werten! Die übergreifende Allianz antifaschistischer Gruppen und das Ineinandergreifen verschiedener Aktionsformen haben wieder einmal dazu beigetragen, den Nazis gehörig den Tag zu versauen. Das deutliche nach Außen tragen inhaltlicher Positionen und die Kundgebung in Sicht- & Hörweite des neonazisitischen „Heldengedenkens“ sind dabei besonders positiv hervorzuheben.

Diese positive Entwicklung kann allerdings lediglich ein Anfang sein, auf einem Weg hin zu einer klaren Kritik von nationalsozialistischem und geschichtsrevisionistischem Gedankengut und der perspektivischen Verhinderung des rechtsterroristischen Aufmarsches. Denn der Kampf gegen den Opfermythos Remagen ist noch lange nicht vorbei.

Unser großer Dank gilt den vielen Antifaschist*innen die am heutigen Tag mit uns auf der Straße waren!

Destroy the myth of Remagen.