Kurzbericht zu den Aktionen in Remagen – Antifa übernimmt Lufthoheit über Proteste gegen den „Trauermarsch“

+++ ca.600 Menschen auf Antifa-Demo setzen klares Zeichen gegen Rechtsterrorismus, deutsche Opfermythen und für die Solidarität mit allen Geflüchteten +++ Mehrfach Gegendemonstraten auf der Naziroute +++ Zahl der Nazis sinkt noch weiter auf 120 +++

Proteste & Blockaden:

Mit etwas Verzögerung aufgrund Verspätungen der Deutschen Bahn trafen sich heute ab 11.45 Uhr mehrere Hundert Menschen aus ganz NRW und Rheinland-Pfalz zur antifaschistischen Demonstration „Solidarität mit allen Geflüchteten – Rechtsterrorismus bekämpfen!“ in Remagen. Nach einer Startkundgebung ging es erst zum Bahnhof, an dem ankommende Neonazis lautstark „begrüßt“ wurden, und dann weiter durch die Innenstadt in Richtung des jüdischen Friedhofs. Auf dem Weg dorthin brach eine Gruppe von ca. 70 bis 100 Gegendemonstrant*innen aus der Demo aus und blockierte eine Kreuzung auf der Naziroute. Von der Zwischenkundgebung am jüdischen Friedhof, bei der besonders an die Remagener Opfer der Shoa erinnert wurde, machten sich viele Leute auf um die Blockade zu unterstützen und die einzige alternative Route ebenfalls dicht zu machen.
Allerdings hat die Polizei die Nazis dann an der Blockade vorbei leiten können, wodurch sie dann doch durch Remagen marschieren konnten, wenn auch nicht so ungestört wie die letzten Jahre. Zusätzlich gab es noch zwei weitere Blockadeversuche bei dem Gegendemonstranten längere Zeit auf der Route waren und an jeder Polizeiabsperrung an der Naziroute waren Leute um den Nazis lautstark die Meinung zu sagen.

Nachdem die Nazis an den letzten Absperrungen vorbei waren, zog die Demonstration vom jüdischen Friedhof bis kurz vor die Schwarze Madonna, wo die Nazis auf dem Platz des ehemaligen Rheinwiesenlagers ihre Totenehrung abhalten wollten um die deutschen Täter nachträglich zu Opfern zu verklären. Dazu kam es aber nicht, da die Nazis ihre Demo schon früher stoppten und sich so vor dem Protest hinter der Fachhochschule versteckten. Dem lautstarken Protest unserer Kundgebung und von verschiedenen Absperrungen konnten sie sich aber auch dadurch nicht entziehen.
Nach Ende der Kundgebung, wurde ihr Rückweg noch parallel durch unsere Demonstration begleitet und alle an den Absperrungen verbliebenen Gegendemonstranten eingesammelt, damit alle sicher zurück zum Bahnhof kommen konnten.

Polizei erstaunlich zurückhaltend
Im Gegensatz zu den ganzen letzten Jahren, als die „Remagener Linie“ noch strikt durchgezogen wurde, den Nazis also mit allen Mitteln ein weitgehend ungestörtes Marschieren ermöglicht wurde und antifaschistischem Gegenprotest hingegen mit Repression und Gewalt begegnet wurde, war die Polizei dieses Jahr zumindest in Remagen erstaunlich zurückhaltend. Uns sind lediglich zwei Ingewahrsamnamen bekannt, und auch die ganzen üblichen Spielchen, Kleingruppen zu schikanieren, unverhältnismäßige Stadtverbote oder Anzeigen etc. auszustellen wurden unterlassen. Allerdings hat die Polizei trotzdem wieder Anti-Antifa-Fotografen bis auf wenige Meter an die Gegendemonstranten heran gelassen, um diese zu provozieren und abzufotografieren. Auch am Bahnhof in Bonn hat die Polizei dann wieder gewohnt inkompetent reagiert, so dass eine Gruppe gewaltbereiter Neonazis unbegleitet herum laufen und ausländisch aussehende Menschen anpöbeln konnte.

Die Nazis

Im Gegensatz zu den verstärkten rechten Tendenzen in Deutschland, haben sich dieses Jahr noch weniger Nazis nach Remagen mobilisieren lassen. Der harte Kern der 120 Neonazis bestand aus den alten Strukturen des AB Mittelrhein aka JN Ahrtal und NPD Mittelrhein, der Kameradschaft Sturm 8/12 um Ralf Tegethoff, der Rechten Dortmund & Rhein-Erft sowie dem III. Weg. Der Lautsprecherwagen kam von René Laube und der mittlerweile verbotenen Kameradschaft Aachener Land. Die Totenehrung nach SS Vorbild wurde wie in den vergangenen Jahren von Ralf Tegethoff durchgeführt.
Wichtig ist aber nicht, wie viele Nazis hier marschiert sind, sondern welche: So war der Aufmarsch in Remagen wieder ein Zusammenkommen der wichtigsten Akteure eines rechten Terrorismus, die alle ihre Relativierung der deutschen Verbrechen und die Verherrlichung des Nationalsozialismus eint.

Fazit

Als klaren Erfolg unserer Kampagne gilt es festzuhalten, dass die Nazis dieses Jahr nicht wieder am jüdischen Friedhof entlang laufen konnten, sondern eine unattraktive Route durch Gewerbegebiet und Feldwege außerhalb Remagens nehmen mussten. Auch ist es zu begrüßen, dass es viele Blockadeversuche direkt auf der Route gab, und die Nazis sich vor unserem Protest versteckt haben. Ebenso gilt ein großer Dank den engagierten Antifaschisten, die unsere Demo und das Trauern der Nazis auf historischem Boden der Erpeler Ley mit klaren antirassistischen Parolen begleitet haben. Sie entrollten ein riesiges Banner mit dem Slogan „Grenzen auf für Alle!“, womit sie auch auf Inhalte unserer Demo Bezug nahmen.
Schon vor unserer Demo gab es vom Bündnis Remagen Nazifrei einen Gedenkspaziergang mit 200 Menschen durch Remagen.

Unter den noch frischen Eindrücken, schauen wir schon mit positiven Gefühlen auf den Tag zurück. Danke an alle die heute nach Remagen gekommen sind und uns so wunderbar unterstützt haben! Außerdem solidarisieren wir uns mit den antifaschistischen Protesten in Weinheim gegen den NPD Parteitag und in Mainz gegen die AfD Demo!

Kritik & Konsequenzen [Nachtrag]
Trotz der klaren Erfolge, die wir erzielen konnten, bleibt bei uns als Bündnis und bei vielen Teilnehmer*innen der diesjährigen Aktionen aber auch ein bitterer Nachgeschmack zurück. Grund dafür liefern einige Ereignisse im Rahmen und am Rande der Demonstration, auf die im Folgenden eingegangen werden soll:

Schon bei unserer Auftaktkundgebung fiel eine Gruppe, welche sich primär aus den Gruppen „Antikapitalistische Aktion Bonn“ (AKAB), „Bonner Jugendbewegung“ (BJB) und deren Umfeld zusammensetzte, negativ auf, als sie -während vom Lautsprecherwagen aus noch Reden und organisatorische Ansprachen gehalten wurden- mit ihrem selbst mitgebrachten Megafon eine eigene kleine „Kundgebung“ auf unserer Kundgebung veranstalteten. Indem sie Parolen skandierten und eigene Redebeiträge hielten machten sie es vielen Demo-Teilnehmer*innen unmöglich, die Reden des Bündnisses vollständig zu hören und dem Verlauf des Programms zu folgen. Beim Aufstellen und Bilden des Demonstrationszuges, versuchte die Gruppe sich in den Block an die Spitze der Demo einzureihen, obwohl bekannt war, dass dieser durch im Bündnis organisierte Gruppen gebildet werden sollte. Erneut geschah dies im weiteren Verlauf der Demo: Es fanden mehrere Versuche statt, bei denen, nach ausdrücklicher Absage durch angesprochene Organisator*innen des Bündnisses, dennoch versucht wurde, oben genanntes eigenmächtig durchzusetzen. Auf Ansprache und Aufforderungen bzgl. des Einhaltens der Demostruktur wurde also nicht nur unkooperativ und abweisend reagiert, sondern unserer Orga-Struktur versucht zu befehlen, was zu tun sei.

Während der Demonstration löste sich eine Gruppe vom Rest der Demo und startete einen Blockadeversuch. Geraume Zeit später waren die Blockierer*innen auf dem Weg zur Zwischenkundgebung der Demonstration, welche dazu diente die Nazis bei ihrem „Gedenken“, sprich der Verherrlichung des NS Regimes und dem Halten antisemitischer Hetzreden, zu stören. Dabei passierten die Teilnehmer*innen des Blockadeversuches die Dauerkundgebung am jüdischen Friedhof. Dort erhielt ein Genosse aus dem Umfeld des Bündnisses den ganzen Tag über eine Kundgebung in Gedenken an die vom NS Regime ermordeten Jüd*innen aufrecht, wodurch verhindert wurde, dass die Nazis erneut am jüdischen Friedhof entlang laufen konnten. Begleitet wurde der Genosse auf seiner Kundgebung durch eine Person, die eine Israelfahne trug. Im Vorbeigehen riefe die Gruppe lautstark u.a. „Palästina, Kurdistan! Intifada, Serhildan!“; ebenfalls wurden die Genossen am Friedhof, von denen einer durch seine Kippa deutlich als Jude zu erkennen war, unter anderem als „Faschisten“ beleidigt und der Staat Israel mit dem NS Regime verglichen. Dieses Aufbauen von Bedrohungssituationen sind Aktionsweisen, die ausschließlich im Umgang mit Nazis angebracht sind.

Später wurde von der BJB ein Bericht über Tag veröffentlicht, in dem sich zu den Vorfällen am jüdischen Friedhof wie folgt positioniert wurde: „Am Rand der Aktionen gab es leider auch wieder einige Spinner die mit Israelfahnen rumgewedelt haben. Auch wenn wir finden, dass diese Flaggen
auf Antifaschistischen Aktionen absolut nichts zu suchen haben, sind wir darauf nicht groß eingegangen sondern haben kurz durch das Rufen von Parolen unsere Positionen klargemacht und uns dann dem wirklich wichtigen Problem an dem Tag zugewandt: Den Nazis“ (hochgeladen auf der
Gruppen-Website am 23.11.15, am 27.11. gelöscht).

Auch in der Vergangenheit gestaltete sich eine Zusammenarbeit schwierig, da sich die Gruppen AKAB und BJB regelmäßig nicht an Absprachen gehalten haben und eine zuverlässige Arbeit nur möglich war, wenn sie direkt zugunsten der beiden Gruppen ging. Regelmäßig entstand der Eindruck, dass es beiden Gruppen hauptsächlich um einen Machtgewinn durch Selbstdarstellung ging, auch auf Kosten anderer linker Gruppen und ihrer Verbündeten. Als Beispiel ist der Versuch der letzten Jahre zu nennen, eine gemeinsame und geschlossene An- und Abreise für die Demonstration in Remagen zu koordinieren. Die Gruppen erschwerten diesen Versuch, hielten sich nicht an getroffene Absprachen und veröffentlichten stattdessen eigene, unabgesprochene Anfahrtszeiten: ein Verhalten, welches alle beteiligten Gruppen und Demonstrationsteilnehmer*innen gefährdet.

Die Machtpolitik, welche aus unserer Sicht das Handeln der Gruppen AKAB und BJB bestimmt, macht es unmöglich, konstruktiv mit ihnen zu arbeiten. Selbst wenn keine direkte Zusammenarbeit besteht, wird durch das offensive Einnehmen von Räumen versucht, sich selbst als Macher*innen darzustellen. In beiden Gruppen gibt es Personen, die seit langer Zeit politisch aktiv sind und denen bewusst sein muss, dass bestimmte Verhaltensweisen auf persönlicher Ebene respektlos und unverschämt, sowie auf struktureller Ebene unsolidarisch sind. Dazu gehören v.a. das „sich an die Spitze setzen“, Reden durch Konkurrenzdurchsagen zu stören und ein permanentes Instrumentalisieren von Inhalten und Veranstaltungen nur für eigene Zwecke. Nicht nur den Erfahrenen, sondern allen Menschen überhaupt sollte klar sein, dass der Vergleich Israels mit dem NS Regime ein Kernmoment rechtsradikaler und/oder antisemitischer Propaganda darstellt. Die Shoah wird somit relativiert, die Dimension, die hier erreicht wird, ist ein Tritt ins Gesicht einer/s jeden Betroffenen und/oder deren Angehörigen.

Die Bezeichnung einer Person, die eine für das Bündnis (strategisch) wichtige Kundgebung angemeldet und aufrecht erhalten hat, als Faschist, ist für uns dahingehend zu verstehen, dass die sich so äußerndem Personen inhaltlich zu keiner an diesem Tag stattfindenden Aktion gepasst haben.

Da wir um die Positionierung der beteiligten Gruppen zum Nahostkonflikt wissen, möchten wir ihnen an dieser Stelle nahe legen zu überdenken, dass das Geschehene nichts mit Kritik am Staate Israel zu tun hat, sondern als Bedrohung und Beleidigung zu sehen und besonders in Hinblick auf Ort und Anlass unangebracht ist.

In Hinblick auf zukünftige Veranstaltungen des Bündnisses „NS Verherrlichung stoppen!“ weisen wir darauf hin, dass eine antinationale Haltung des Bündnisses auch in Zukunft bestehen bleiben wird. Weiterhin werden wir es als Organisator*innen nicht dulden, dass Gruppen unsere Demonstrationen und Aktionen für ihre Zwecke vereinnahmen (z.B. durch Missachten der Organisationsstrukturen) oder stören und gefährden (z.B. durch Unterbrechen von Durchsagen oder unabgesprochenen Anfahrtszeitpunkten).

Besonders in Remagen ist für solches Handeln kein Platz, wo sich doch in unmittelbarer Nähe zu uns der Rechtsterrorismus offen auf die Straße wagt. Das Problem an diesem Tag tritt offensichtlich in Erscheinung und gilt es zu bekämpfen: Nazis und deren verherrlichende, relativierende Propaganda. Deshalb wollen wir uns respektvoll behandeln und weiter solidarisch und entschlossen auf die Straße gehen.

Um unsere Kritik an den im Text genannten Vorfällen den betroffenen Gruppen direkt mitzuteilen, und zumindest zu versuchen, solche Situationen für die Zukunft zu verhindern, haben wir als Bündnis die genannten Gruppen zu einem Gespräch eingeladen. Dabei wurde zumindest Teile unserer Kritik am Verhalten der Gruppen von diesen, vor allem der BJB, aufgenommen und es wurden konstruktive Lösungsvorschläge diskutiert. Als der Vorfall am Friedhof besprochen wurde, wurden die Personen, welche am Friedhof standen, von der Delegation der AKAB erneut als Faschisten bezeichnet, sowie mit den türkischen faschistischen „Grauen Wölfen“ gleichgesetzt. Weiterhin wurden nicht nur die genannten beiden Personen, sondern alle, die dem Argument folgen, dass die jüdische Bevölkerung einen nationalen Schutzraum als Verteidigung ihres Lebens gegen einen weit verbreiteten Vernichtungs-Antisemitismus benötigt, aufgrund dieser Haltung als Rassisten und Faschisten bezeichnet. Darüber hinaus wurde geäußert, dass sie als Gruppe körperliche Gewalt gegen genannte Personen als legitim ansehen, diese jedoch „nur aus taktischen Gründen“ nicht ausüben bzw. ausgeübt haben. Die anwesenden Mitglieder unseres Bündnisses haben, nachdem auch nach mehrmaligem Nachfragen die Äußerungen nicht revidiert wurden, das Gespräch abgebrochen, da Einigkeit herrschte, dass aufgrund der Äußerungen von Seiten der AKAB kein Gespräch mehr möglich war. Die BJB als Gruppe unterstützte die Aussagen der AKAB nicht, da nach eigener Aussage in der Gruppe keine einheitliche Position zu dem besprochenen Thema existiert.

Aufgrund der Legitimation und indirekten Androhung von Gewalt gegen unsere Genossen, sowie der Bezeichnung dieser als Faschisten, haben wir beschlossen, als Bündnis in keiner Weise mit der AKAB oder deren Mitgliedern zusammenzuarbeiten und diese darüber hinaus auch nicht mehr auf Veranstaltungen des Bündnisses geduldet werden, so lang die AKAB als Gruppe und deren Mitglieder sich nicht klar von den getätigten Äußerungen distanzieren. Diese Entscheidung haben wir getroffen, da es für uns selbstverständliche Grundsätze sind, es weder zu dulden, wenn Linke als Faschisten bezeichnet werden, noch jegliche Form von innerlinker Gewalt gutzuheißen oder zu praktizieren.

Alerta Antifascista!